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Buchcover Der Bärbeiss

Übersetzungsförderung
Italienische Rechte bereits vergeben.

Wie man einen Bärbeiß bändigt

„Der Bärbeiß“ von Annette Pehnt und Jutta Bauer nun als Comic – in Szene gesetzt von Josephine Mark

Vor mehr als einem Jahrzehnt erzählte die Schriftstellerin Annette Pehnt liebenswerte Geschichten über einen hierzulande häufig beobachteten Zeitgenossen, den Bärbeiß. Der Bärbeiß ist ein pelziger, dickwanstiger Geselle von brummbäriger Gestalt, übelgelaunt, von seinen Mitmenschen stets Schlimmes erwartend, misstrauisch also, eigenbrötlerisch und grummelig. Von den Katzenohren über die Reißzähne bis zu den Krallenpfoten ein schwer erträglicher Kerl.

Die Illustratorin Jutta Bauer setzte ihn und die kleine Dorfgemeinschaft um ihn herum damals so ins Bild, dass man glaubte, sich in dieser Welt wiederzuerkennen. In Gestalt eines der freundlichen Geschöpfe mit kleinen Ticks – als ungemein frohsinniges und hilfsbereites Tingeli etwa, ein mausähnliches Wesen. Oder als entzückendes Häschen aus der spielfreudigen Hasenbande, als unternehmungslustiges Graureiherchen oder meinetwegen auch als etwas naseweiser, befrackter Pinguin, ein geborener Kümmerer. Ins Fell des Bärbeißes jedoch wollte man nicht schlüpfen, selbst wenn man mitunter eigene Macken an ihm erkannte und sich mit der Zeit herausstellte, welch guter Kern in diesem Brummbären schlummern könnte.

Wenn nun die 2022 mit dem Max-und-Moritz-Preis für den besten Kindercomic („Trip mit Tropf“) ausgezeichnete Illustratorin und Grafikerin Josephine Mark zum Künstlerinnenduo stößt, um das, was Pehnt und Bauer so wunderwitzig in die Welt gesetzt hatten, als Comic zu erzählen, kann einfach nichts schiefgehen. Dann wird „Der Bärbeiß“ in den zu vier Geschichten verdichteten Erzählungen noch leibhaftiger, als er es eh schon war. Man erschließt sich die Gefühlszustände der Bewohner des idyllischen Dörfchens nicht nur aus dem Lesen und der Interpretation einzelner Bilder, sondern verfolgt jede Regung der Gemüter Bild für Bild – fast wie in einem perfekt animierten Zeichentrickfilm. Jede einzelne Sequenz charakterisiert und karikiert das Augenblicksgemüt der Figuren aufs Allerfeinste. Die Dorfgemeinschaft ist ja ständig außer sich, seit Bärbeiß im alten Waschbärhaus mit dem völlig verwahrlosten Garten eingezogen ist. Neben dem Paradiesgärtchen von Nachbarin Tingeli wirkt das Anwesen wie ein von allen guten Geistern verlassenes Ödland.

Allein die Variationen des Gesichtsausdrucks von Bärbeiß und seiner beharrlichsten Gegenspielerin machen die Lektüre zu einem erkenntnisreichen Vergnügen. Die herzensgütige Tingeli, die mit all ihren zur Verfügung stehenden kommunikativen Tugenden – Habermas wäre stolz auf sie! – versucht, dem widerspenstigen Zeitgenossen die Freuden des Daseins nahezubringen und die Vorzüge von Miteinanderreden und Zusammensein. „Lass dich nicht vom muffigen Ton und Tun dieses Knilchs provozieren“, möchte man ihr entgegenrufen, wie man es in „Trip mit Tropf“ bereits dem leidtragenden Kaninchen in seinem Streit mit dem bärbeißigen Wolf zurief. „Verteidige die Fantasie und verteidige die winzigen Fingerlinge, die zartbunten Flügelwesen, die einmal im Jahr die Gärten besuchen und die Bäume nachts zum Leuchten bringen!“

Wie Josephine Mark mit wenigen, klaren Strichen die Vielfalt an Emotionen in die Stellung der Mundwinkel, der Augen, der Stirnfalten legt, gerade in den Auseinandersetzungen von Bärbeiß und Tingeli – das ist große Comickunst. Und Annette Pehnt tut es der Illustratorin in Worten gleich. Der prosaische Ton der ursprünglichen Erzählung weicht kurzen, pointierten Sätzen, die passgenau die Sprechblasen füllen und – zusammen mit den Figuren und dem liebevoll colorierten, sanfthügeligen Milieu – eine überschaubare Fantasiewelt kreieren, in der man sich gerne wiederfindet.

Man wandert – wie schon in „Trip mit Tropf“ – durch die Geschichten, als würde man auf einem Waldspaziergang plötzlich von einer Parallelwelt gefangen, die flugs die eigenen, vertrauten Bilderfantasien animiert und die auf eine liebenswerte und verständliche Weise zeigt, welch Zaubersprüche nötig sind, um die Bärbeiße im näheren Umkreis in erträgliche Zeitgenossen zu verwandeln. Gegebenenfalls auch sich selbst.
Buchcover Der Bärbeiss

Von Siggi Seuß

​Siggi Seuß, freier Journalist, Hörfunkautor und Übersetzer, schreibt seit vielen Jahren Kinder- und Jugendbuchkritiken.