Tamara Bach Von da weg

Buchcover Von da weg

Inhaltsangabe des Verlags

Carlsen Verlag
Hamburg 2024
ISBN 978-3-551-58543-1
176 Seiten
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Italienische Rechte bereits vergeben.

Alleiner kann man gar nicht sein

Tamara Bach, 1976 in Limburg geboren, startete ihre Schriftstellerinnen-Karriere mit einem großen Wurf: Gleich ihr erster Jugendroman „Marsmädchen“ wurde 2002 als noch unveröffentlichtes Manuskript mit dem Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis und später auch noch mit dem Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. 2005 wurde auch ihr zweiter Roman „Busfahrt mit Kuhn“ für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Inzwischen sind zwölf Kinder- und Jugendbücher von Tamara Bach erschienen, Preise und Auszeichnungen – unter anderem der renommierte James-Krüss-Preis – lassen sich nicht mehr an zehn Fingern abzählen.

Das Besondere an Tamara Bachs heiß geliebten und hoch gelobten Romanen liegt nur selten in der Geschichte selbst. Die ist meist unspektakulär, geht es doch nicht um große Katastrophen, sondern um all die Themen, die Jugendliche weltweit beschäftigen und herausfordern. Um Schulwechsel und erste Liebe, unverhoffte Begegnungen und die Trennung der Eltern, Freundschaft und Einsamkeit. Und immer wieder um die Frage, wer man ist und wohin man gehen möchte in und mit seinem Leben.

Einmalig und sehr besonders sind aber die Sprache, die Form oder auch die Struktur von Tamara Bachs Büchern, und da macht „Von da weg“ keine Ausnahme. Im Zentrum steht Kaija, sie ist mit ihren Eltern aus einer großen Stadt im Norden in eine Kleinstadt im Süden Deutschlands gezogen und tut sich in der neuen Umgebung schwer. In der Schule lässt man sie links liegen, aus dem Gruppenchat der früheren Klasse wurde sie gelöscht, die alte Tante im Elternhaus der Mutter, in das die Familie gezogen ist, wirkt leicht dement und auch die Mutter, die in Kaijas Gymnasium als Lehrerin arbeitet, fühlt sich sichtlich unwohl in der alten Heimat. „Alleiner kann man gar nicht sein“ denkt sie einmal. Nur der Vater, Amerikaner und Künstler, nimmt alles mit Humor und versorgt die Familie fröhlich mit guter Laune, gutem Essen und guten Lösungen für alle möglichen Probleme.

Ganz von selbst kommen dem Leser alle möglichen Fragen in den Sinn: Warum ist die Familie umgezogen? Geht es um die Versorgung der alten Tante oder vielleicht um Probleme, die Kaija hatte? Warum versucht die Mutter, alten Bekannten aus dem Weg zu gehen? Oder: Was für eine Lebensgeschichte könnte die einsilbige Tante Josepha erzählen? Fragen, die aber nicht direkt angesprochen werden, sondern sozusagen unter oder hinter der Geschichte vorsichtig auftauchen. Fragen, die auch nicht vollständig beantwortet werden und darum bis zum Schluss über dem Geschehen schweben.

In vielen Büchern von Tamara Bach gibt es ähnliche Leerstellen und Unklarheiten, die man als Leser aushalten muss und die nicht nur irritieren, sondern ihre Geschichten auch interessant und authentisch wirken lassen. Typisch ist auch die eigenwillige Erzählweise der Autorin. Kurz, knapp und komprimiert kommen ihre Sätze daher, sie beschreiben Verhaltensweisen und Ereignisse, interpretieren und kommentieren aber nie. Vieles wird nur angedeutet, nicht genau ausgeführt, aber in allen Sätzen liegt eine Klarheit und Kraft, die noch unterstützt wird durch leise Rhythmisierung, Wiederholungen, Umstellungen und fehlende Wörter. Einfach an der Oberfläche, aber komplex in der Struktur wirkt „Von da weg“ wie ein leicht verschwommenes Foto, das sich nicht schärfer stellen lässt und gerade dadurch sein Geheimnis behält.

Wohl jede(r) Jugendliche kann sich in die Situation hineindenken, „von da weg“ zu wollen, ohne schon ein konkretes Ziel vor Augen zu haben. Auch die unangepasste Großtante wollte das und auch die reiselustige Mutter, wie sich im Lauf der Handlung in eigenen Erzählsträngen herausstellt. Dadurch wird die Figurenkonstellation noch einmal differenzierter und man versteht einige der sehr unterschiedlichen emotionalen oder faktischen Hindernisse, die alle drei Generationen überwinden müssen, um schließlich nicht mehr weg zu wollen.

Tamara Bach hat erneut einen Jugendroman geschrieben, der viele Leserinnen und Leser finden wird, weil er grundsätzliche Themen wie Wegwollen und Zurückkommen, Heimat und Sehnsucht nach der Ferne, Fremdheit und Geborgenheit anspricht. Für Übersetzer mag er eine Herausforderung sein, gilt es doch, die leisen Anspielungen und Betonungen, die sprachlichen Feinheiten und Eigenheiten, die Töne und Zwischentöne so zu übertragen, dass sie ihre subtile Wirkung entfalten können. Dann steht es außer Frage, dass dieser feine, kleine Roman auch anderswo genauso begeistert aufgenommen werden wird wie in Deutschland.
 
Buchcover Von da weg

Von Sylvia Schwab

​Sylvia Schwab ist Hörfunkjournalistin und hat sich auf Kinder- und Jugendliteratur spezialisiert. Sie ist Jurorin bei den "Besten 7" von Deutschlandfunk und Focus und arbeitet für den Hessischen Rundfunk, den Deutschlandfunk und Deutschlandradio-Kultur.

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