Gar nicht farblos geht es in „Herr Elefant & Frau Grau gehen in die große Stadt“ von Martin Baltscheit und Max Fiedler zu. Fiedlers Comic-Stil ist unverkennbar. So viel Gewusel, Lebendigkeit und Originalität sprudelt dem Betrachter dort entgegen. „Ich versuche grob, den Text und die Sprechblasen auf den Seiten zu platzieren. Außerdem skizziere ich viel, um mich auf die Stimmung der Geschichte einzustellen – wie hier etwa afrikanische Savannentiere und Pflanzen“, erklärt der Illustrator. Alles beginnt damit, dass Touristen ein Smartphone verlieren. Zunächst für einen flachen Käfer gehalten, eröffnet das geheimnisvolle Gerät den Tieren in der Savanne eine neue Welt: Hamburg lockt und der fremde Blick der Tiere – etwa auf eine Dusche, einen Aufzug oder Busse – fasziniert. Bis Band 4 ist diese Reihe schon geplant und Martin Baltscheit gehen die witzigen, teils hintergründigen Ideen sicher nicht aus.
Ebenfalls viel Fantasie und Umdenken ist bei Martin Baltscheits „Selma tauscht Sachen – Hundeleben“ gefragt. Hier ist Anne Becker für die Comic-Zeichnungen verantwortlich und auch sie hat einen ganz eigenen künstlerischen Stil. Am Eiswagen passiert es. Das Mädchen Selma verwandelt sich in den kleinen grauen Pudel einer alten Dame und der Pudel in das Mädchen. Weich umrandete Panels und viel Lautmalerei – wie etwa „drriiing", "splatt", "kläff" oder "börrrp“ – prägen diesen Comic. „Zusammen mit dem Autor wird an Dialogen geschliffen, werden Szenen abgeändert, verworfen oder zusätzliche Seiten erdacht. Dann erst gehe ich an die Reinzeichnung, Kolorierung und ins Handlettering“, so die Berliner Künstlerin. Erschienen ist dieser Comic bei Kibitz, einem relativ jungen Verlag, der sich ganz besonders um hochwertige Kindercomics verdient macht und der für den 20. Internationalen Comic-Salon Erlangen vom 16. bis zum 19. Juni 2022 seinen ersten richtigen Verlagsauftritt plant. „Grundgedanke war auch, bei hauptsächlich deutschsprachigen Autor*innen entsprechend Veranstaltungen wie Comic-Lesungen und Workshops anbieten zu können“, erläutert Verlagsleiter Sebastian Oehler, der mit Comics lesen gelernt hat und dessen Begeisterung dafür bis heute geblieben ist.
Ähnliches lässt sich über Anke Kuhls „Manno! Alles genau so in echt passiert“ sagen. 2020 hat sie dafür den Max und Moritz-Preis in der Kategorie `Bester Comic für Kinder’ bekommen. Eine Anfrage des Reprodukt Verlages hatte sie 2015 zu „Lehmriese lebt“ und somit zum Kindercomic gebracht. Nun erzählt sie aus der Perspektive der achtjährigen Anke ihre Kindheitserinnerungen aus den siebziger Jahren. „Für viel Dynamik sorgen dabei Momentaufnahmen, Perspektivwechsel und Zooms, angereichert mit Speedlines und Soundwords“, so die Begründung der Jury des Deutschen Jugendliteraturpreises, die „Manno!“ 2021 in der Sparte Kinderbuch nominiert hat.
Zahlreiche weitere Künstler und Verlage wie Carlsen, Jaja Verlag und Rotopol verlegen qualitativ hochwertige Kindercomics und mit „POLLE“ ist nun auch ein großartiges Comic-Magazin für Kinder am Start, für das Anke Kuhl ebenfalls zeichnet. Außerdem mit von der Partie sind Nadia Budde, Tanja Esch und Ferdinand Lutz – hier auch in seiner Funktion als Gründer und Herausgeber. „Mir fiel auf, dass es in Deutschland kein Kindercomic-Magazin gibt, in dem Kinder unterschiedliche Erzählperspektiven und Illustrationsstile kennenlernen können“, so Lutz. „POLLE“ erscheint zweimal im Jahr werbefrei im Péridot Verlag und bietet Zeichner*innen eine Spielwiese. Und was ihn an Kindercomics besonders fasziniert? „Kinder können darin komplexe Geschichten erfahren, für die sie möglicherweise noch gar keine Worte haben.“
Antje Ehmann arbeitet als freie Journalistin, Jurorin und Referentin im Bereich Kinder- und Jugendliteratur
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