Martina Hefter Es könnte auch schön werden
- Kookbooks Verlag
- Berlin 2018
- ISBN 978-3-937-44590-8
- 93 Seiten
- Verlagskontakt
Martina Hefter
Es könnte auch schön werden
Halbtotentanz, sehr lebendig
Im deutschen Sprachraum hat die 1965 geborene Martina Hefter dabei so etwas wie eine Pionierrolle übernommen. In ihrem neuen Gedichtband „Es könnte auch schön werden“ beschreibt sie, aus eigener Anschauung eines Falles im familiären Umfeld, den Alltag und die Atmosphäre eines Altenpflegeheims. Oder vielmehr: Sie sucht und findet poetische Ausdrucksmittel für das Unausweichliche und vermeintlich Unaussprechliche, das die meisten von uns fürchten und deshalb totschweigen. Eine besondere Konstellation ergibt sich daraus, dass ein Teil der Gedichte (oder auch des Langgedichts, je nach Betrachtungsweise) zugleich als Text für eine Bühnen-Performance gedacht ist: Denn Martina Hefter, die aus dem Allgäu stammt, seit den Neunzigerjahren in Leipzig lebt und vor ihren vier Lyrikbänden schon drei Romane veröffentlichte, ist nicht nur Schriftstellerin, sondern auch Tänzerin und arbeitet als Performerin ihrer Dichtung an der Schnittstelle von Bewegung und Sprache.
Auch innerhalb des Textes herrscht unablässige Bewegung, und zwar zwischen den verschiedenen Tonlagen, die Hefter erprobt, um eine extreme Erfahrung nicht nur zu schildern, sondern auch zu gestalten, das heißt: die existenzielle Erschütterung durch sprachliche Form zu bewältigen. Die Balance, auch sie ja ein wesentliches Element des Tanzes, muss hier immer wieder hergestellt werden zwischen starken Gefühlen und nüchterner Reflexion, zwischen Empathie und Selbstschutz, Faszination und Abwehr. Da ist einerseits die autobiografische Verortung in der Realität (die kräftezehrenden Besuche bei der bettlägerigen Schwiegermutter) und die kühle Beobachtung der Heim-Routine, in der durchaus auch Komik lauert – andererseits die Hingabe an die eigene, in dem tristen Milieu auf Hochtouren laufende Fantasie: Diese beiden Wahrnehmungsarten sind wie zwei Ballettstangen, bei denen das lyrische Ich wechselweise Zuflucht sucht, mal im saloppen Slam-Ton, mal mit dem Pathos der Melancholie, oft sarkastisch und immer wieder liebevoll.
Aber die Perspektiven durchdringen einander: Traumwesen, Geister und Teufel bevölkern den makabren Wirklichkeitsort, die Pflegeheimkatze rapportiert ihre Eindrücke, eine Gletschermumie spricht zu den Bewohnern. Gesten zwischenmenschlicher Zuwendung und die stille Präsenz des Aushaltens gewähren immer wieder tröstliche Momente, in „Halbtotengesprächen“ entfaltet sich eine befreiende Anarchie. Martina Hefters dichterisches Experiment ist eine Art Tanz im Vorhof des Totenreichs, aber von großer Lebendigkeit. Und ihr lyrisches Idiom, ganz auf der Höhe der Zeit, bleibt in allen wechselnden Beleuchtungen, die es durchschreitet, klar und plastisch genug, um eine Übertragung in andere Sprachen folgerichtig erscheinen zu lassen.
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Von Kristina Maidt-Zinke
Kristina Maidt-Zinke ist Literatur- und Musikkritikerin der Süddeutschen Zeitung und rezensiert für Die Zeit.
Inhaltsangabe des Verlags
Wie ist das, wenn die lieben Verwandten krank und schwach in mein Leben treten? Was passiert, wenn man allein in einem Pflegeheimzimmer stirbt? Wie und wo will ich selbst sterben? Werde ich überhaupt alt werden? Werde ich wirklich sterben? Und was ist mit dem Teufel, ist er verantwortlich? Worin besteht das Böse, das er angeblich verkörpert?
Ausgehend von einer realen Situation, nämlich der Unterbringung eines schwer kranken Familienmitglieds in einem städtischen Altenpflegeheim in Leipzig, versammelt „Es könnte auch schön werden“ unterschiedliche Texte zur Frage, wie man dem Alter beikommt und wie dem Tod. Jeweils auf ihre Weise versuchen sie Annäherungen an die allgegenwärtige Frage, wie man nicht nur als Individuum, sondern auch als Gesellschaft mit Alter und Tod umgeht.
(Text: Kookbooks Verlag)