Kinder- und Jugendbuch
Dieses blöde Gesterbe! Birgits Schössows
Nur wenige Illustratorinnen arbeiten so vielseitig wie die Hamburgerin Birgit Schössow. Sie macht Buchcover und Bühnenbilder, Trickfilme und Trailer, arbeitet für Zeitungen und Zeitschriften und illustriert auch immer wieder Kinderbücher. Nach zwei Bilderbüchern hat sie jetzt auch ihr erstes Kinderbuch selbst geschrieben, sein Titel klingt keck und macht neugierig: „Oma verbuddeln“.
Omas spielen nicht nur im wirklichen Kinderleben, sondern auch in der Kinderliteratur eine zentrale Rolle. Als Bezugspersonen, die meist mehr Abstand und Zeit haben als die Eltern und darum die Kinder ganz ernst nehmen. Manchmal allerdings sind sie nervig oder hilfsbedürftig, ab und zu auch existentiell notwendig. Menschen eben, mit denen Kinder einmalige Erfahrungen machen können – schwierige wie beglückende.
So geht es auch den Geschwistern Annie (12), Paul (11) und Mina (6), als sie durch einen tödlichen Unfall der Eltern von jetzt auf gleich allein dastehen. Eine nette Nachbarin kümmert sich um die drei bis „diese Oma“ auftaucht, die Mutter der Mutter. „Diese Oma“ ist eine selbstbewusste Frau, sie lebte jahrelang im Ausland, schreibt Krimis und hatte sich irgendwann mit der Mutter verstritten. Seit Jahren gab es keinen Kontakt mehr. „Diese Oma“ nimmt ihre drei Enkel mit an die Ostseeküste in ihr idyllisches Holzhaus, und es stellt sich heraus, dass sie ganz schön cool, großzügig und auch sensibel ist. Die Kinder leben sich langsam bei ihr ein, fühlen sich schließlich bei ihr, im Dorf und in der Schule zu Hause. Doch „das Gesterbe“ hört nicht auf: Erst stirbt Lili, die Katze, und dann auch noch – für alle unfassbar – die Großmutter selbst.
Warum auch dieser tragische Tod nicht in einer Katastrophe mündet, sondern letztendlich zu einem guten Ende führt, das erzählt Birgit Schössow mit ganz viel Esprit, Humor und noch mehr Phantasie. Um den Tod der Oma zu verheimlichen und nicht ins Heim zu müssen, finden die Geschwister – siehe Titel! – eine ziemlich schräge Lösung. Sie verbuddeln die Oma heimlich im Garten. Und alle sich daraus ergebenden Probleme werden mit Hilfe von Lola Mattuschke, der früheren Nachbarin, Omas Verleger Bruno und guten Freunden witzig und auf verrückte Weise gelöst.
Zwei Vorwürfe könnte man „Oma verbuddeln“ machen. Der eine, die Geschichte sei zu positiv und damit kitschig geraten und der andere, er gehe das Thema Sterben und Tod nicht ernsthaft genug an. Doch beide laufen ins Leere! Zum einen, weil Paul – der Erzähler – das Thema Kitsch im Zusammenhang mit dem idyllischen Leben bei der Oma selbst reflektiert und damit jeder Kritik den Wind aus den Segeln nimmt. Und dann, weil der Tod hier wirklich ernst genommen und oft thematisiert wird, aber nur selten Trostlosigkeit oder Verzweiflung aufkommen. Denn der Oma ist es gelungen, den Kindern Lebensfreude und -mut, ein wenig Dreistigkeit und noch mehr Hoffnung mit auf den Weg zu geben.
So wird auf kreative und pragmatische Lösungen gesetzt. Und dass diese – obwohl mehr als ungewöhnlich! – dann doch überzeugend rüberkommen, liegt an Birgit Schössows einfühlsamer, zugleich bewusst launiger Erzählweise. Trauer und Schmerz werden von Paul altersgemäß unbeholfen und leicht komisch beschrieben, seine Wortspiele und -kreationen setzen pfiffige Akzente.
„Dieses blöde Gesterbe“ – der Begriff. ist eine genial-einfache Entsprechung zu Andreas Steinhöfels berührendem „Herzgebreche“ aus dem gleichnamigen Rico und Oskar-Band von 2009. Das „Gesterbe“ stellt zwar das Leben der Kinder auf den Kopf, verschlägt ihnen aber nicht die Sprache. Flotte Sprüche sorgen immer wieder für eine gelöste Stimmung, Paul tritt, indem er alles wie eine Krimi-Komödie aufschreibt, in die Fußstapfen seiner Oma. Die, wie sich am Schluss herausstellt, das „Gebuddel“, also die eigene Bestattung im Garten, schon vorausschauend eingefädelt hatte.
Seit Peter Härtlings „Oma“ aus dem Jahr 1975 spielen Krankheit und Alter, Sterben und Tod von Großeltern eine wachsende Rolle in der deutschsprachigen Kinderliteratur. Ein Thema, das immer und überall auf der Welt Bedeutung hat, das Kinder verstört und beschäftigt und das irgendwie bewältigt werden muss. Auch mit Hilfe von Geschichten. Ein Thema, das aber selten so erfrischend daherkommt wie in Birgit Schössows „Oma verbuddeln“. Dazu tragen auch die vielen spritzigen, originellen Bilder der Autorin bei.
Von Sylvia Schwab
Sylvia Schwab ist Hörfunkjournalistin und hat sich auf Kinder- und Jugendliteratur spezialisiert. Sie ist Jurorin bei den "Besten 7" von Deutschlandfunk und Focus und arbeitet für den Hessischen Rundfunk, den Deutschlandfunk und Deutschlandradio-Kultur.